Vischer, Wilhelm: Leserbrief "Der Bundesrat muß es wissen ...", 1942

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Vischer-Stähelin, Wilhelm Eduard: Leserbrief "Der Bundesrat muß es wissen ...", in: National-Zeitung 391, 25.8.1942.

 

Hier der Text:

„Der Bundesrat muss es wissen, dass er mit dem Aussperren und Ausliefern jüdischer Flüchtlinge die christliche Wurzel der Eidgenossenschaft verletzt. Mit nichts lässt die verhängnisvolle Tat sich rechtfertigen. Wären die Menschen, die jetzt schutzflehend an und über unsere Grenze kommen, geflohene Kriegsgefangene oder Deserteure oder politische Flüchtlinge, dann würden und könnten sie aufgenommen werden. Nun sie aber aus keinem andern Grund vor den Henkern bei uns Zuflucht suchen als weil sie Juden sind, denen das Lebensrecht in der ‘neuen Ordnung Europas’ abgesprochen ist, soll die Schweiz keinen Rechtsgrund und keine Möglichkeit haben, ihnen Schutz zu bieten.
Das ist nicht wahr. Denn erstens ist der Jude der politische Flüchtling par excellence im heutigen Europa. Und zweitens ist gerade seine völlige Wehr- und Rechtlosigkeit der zwingende Grund dafür, dass die Schweiz an ihm ihre vielgerühmte Mission erfülle.
Gott befiehlt es uns und gibt uns auch die Möglichkeit dazu. Wenn wir uns dessen weigern, belasten wir die Schweiz mit schwerer Schuld. Die Sorge um unsere eigene Ernährung und die Angst vor den Machthabern dieser Zeit dürfen uns nicht dahin drängen, dass wir die Gottesfurcht wegwerfen. Jetzt müssen und können wir mit der Tat den Dank an Gott beweisen, der so oft in Reden ausgesprochen worden ist, den Dank dafür, dass er durch seine Gnade unser Vaterland wunderbar erhalten hat.
Wir leben doch von Tag zu Tag einzig und allein von dem Erbarmen Jesu Christi. Wie können wir da zugleich die ärmsten seiner Brüder erbarmungslos von uns stossen?“

Vischer-Stähelin, Wilhelm Eduard: Leserbrief "Der Bundesrat muß es wissen ...", in: National-Zeitung 391, 25.8.1942.

 

Hier der Text:

„Der Bundesrat muss es wissen, dass er mit dem Aussperren und Ausliefern jüdischer Flüchtlinge die christliche Wurzel der Eidgenossenschaft verletzt. Mit nichts lässt die verhängnisvolle Tat sich rechtfertigen. Wären die Menschen, die jetzt schutzflehend an und über unsere Grenze kommen, geflohene Kriegsgefangene oder Deserteure oder politische Flüchtlinge, dann würden und könnten sie aufgenommen werden. Nun sie aber aus keinem andern Grund vor den Henkern bei uns Zuflucht suchen als weil sie Juden sind, denen das Lebensrecht in der ‘neuen Ordnung Europas’ abgesprochen ist, soll die Schweiz keinen Rechtsgrund und keine Möglichkeit haben, ihnen Schutz zu bieten.
Das ist nicht wahr. Denn erstens ist der Jude der politische Flüchtling par excellence im heutigen Europa. Und zweitens ist gerade seine völlige Wehr- und Rechtlosigkeit der zwingende Grund dafür, dass die Schweiz an ihm ihre vielgerühmte Mission erfülle.
Gott befiehlt es uns und gibt uns auch die Möglichkeit dazu. Wenn wir uns dessen weigern, belasten wir die Schweiz mit schwerer Schuld. Die Sorge um unsere eigene Ernährung und die Angst vor den Machthabern dieser Zeit dürfen uns nicht dahin drängen, dass wir die Gottesfurcht wegwerfen. Jetzt müssen und können wir mit der Tat den Dank an Gott beweisen, der so oft in Reden ausgesprochen worden ist, den Dank dafür, dass er durch seine Gnade unser Vaterland wunderbar erhalten hat.
Wir leben doch von Tag zu Tag einzig und allein von dem Erbarmen Jesu Christi. Wie können wir da zugleich die ärmsten seiner Brüder erbarmungslos von uns stossen?“

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Created Date: 07-01-2016
Last Updated Date: 07-01-2016